Das Eckpunktepapier zum Gesetz gegen digitale Gewalt ist eine Enttäuschung
Die Fälle, in denen sich die Täter und Opfer digitaler Gewalt bereits kennen, werden von der Bundesregierung offenbar nicht mitgedacht. Das ist gefährlich – denn Cyberstalking kann analoge Gewalt verschärfen.
Das Eckpunktepapier zum Gesetz gegen digitale Gewalt ist für den Kampf gegen Ortung und Überwachung durch Personen im privaten Umfeld eine Enttäuschung. Digitale Gewalt scheint in dem im April veröffentlichten Papier mit Hassrede gleichgesetzt zu sein. Sie ist aber wesentlich vielfältiger. Bei Hassrede im Netz ist der Täter oftmals unbekannt. Bei digitaler Gewalt im sozialen Nahraum – etwa Cyberstalking oder bildbasierter Gewalt („Revenge Porn“) – ist die Bedrohungssituation ganz anders und muss deshalb auch anders bekämpft werden.
In den Vorschlägen für das Eckpunktepapier der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) war die Unterscheidung zwischen Hassrede im Netz und anderen Gewaltformen klarer beschrieben und Cyberstalking bzw. digitale Gewalt im Kontext häuslicher Gewalt wurde explizit benannt. Die GFF beschrieb auch die Notwendigkeit einer klaren Unterscheidung und Eingrenzung für die rechtliche Handhabbarkeit digitaler Gewaltformen (PDF).
Account-Sperren helfen nicht bei Cyberstalking
Im veröffentlichten Eckpunktepapier des FDP-geführten Justizministeriums findet Cyberstalking nun überhaupt keine Erwähnung mehr. Das ist ein schwerwiegendes Problem. Denn die Möglichkeit, Betroffene digital zu orten und zu überwachen, kann unmittelbar in analoge Gewalt übergehen und im schlimmsten Fall zum Tod der Betroffenen führen.
Im Jahr 2021 wurden 113 Frauen in Deutschland von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet, im Jahr zuvor waren es 139 Frauen (polizeiliche Kriminalstatistik 2021/2020). Die Möglichkeit digitaler Ortung und Überwachung erleichtert Tätern auch nach Trennungen das Auffinden von Frauen, beispielsweise an Schutzorten wie Frauenhäusern.
Die vom Eckpunktepapier vorgeschlagenen erweiterten Auskunftsrechte zur Identität des Täters bringen Betroffenen von digitaler Gewalt, die den Bedroher bereits kennen, überhaupt nichts. Account-Sperren helfen in diesem Fall ebenfalls nicht weiter, weil Cyberstalking durch eine bekannte Person in der Regel auf vielen Wegen stattfindet (z.B. per Telefon, E-Mail, Social Media, kompromittierte Accounts und Geräte).
Digitale Ortung und Überwachung ist rechtlich bisher nur schwer zu verfolgen, da bei Polizei und Justiz oftmals das technische Knowhow und die Kapazitäten fehlen. Dass Cyberstalking als Gewaltphänomen in den Eckpunkten zum geplanten Gesetz nun nicht einmal Erwähnung findet, ist dramatisch und eine verpasste Chance, Gewalt gegen Frauen wirklich ernst zu nehmen.
Text: Inga Pöting